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Olena Rigby unterwegs

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Eines Tages erhalten Sie eine Benachrichtigung darüber, dass es eine Person namens Olena Rigby gibt und dass sie sich auf dem Weg zu Ihnen befindet. Aus der Benachrichtigung, die per Post, E-Mail oder Social Media ihren Weg zu Ihnen fand, erfahren Sie etwas über die Person, über ihren Lebensweg, vor allem aber werden Sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie mit dem Zug anreist und es schön fände, holten Sie sie vom Bahnhof ab.

Sie sind ein weltoffener und freundlicher Mensch und haben an besagtem Tag die Zeit dazu, also stehen Sie pünktlich am Bahnsteig und erwarten Olena Rigby. Der Zug ist bereits vor zehn Minuten eingefahren und alle ankommenden Reisenden wurden schon von den auf sie Wartenden in Empfang genommen, der Bahnsteig leert sich allmählich, neu hinzu gestiegene Reisende sind längst im Zug verschwunden und der Schaffner winkt schon mit der Kelle … Nur Olena Rigby können Sie nirgendwo sehen, auch keine andere Frau, auf die ihre Beschreibung passen könnte. Also denken Sie #WTF und gehen enttäuscht und vielleicht ein wenig verärgert Ihrer Wege …

Was Sie nicht wissen konnten: Olena Rigby ist gar keine richtige, sondern eine Pseudoperson. Genau genommen eine Schaufensterpuppe, die gar nicht in der Lage war, selbstständig aus dem Zug zu steigen. Und da Sie davon nichts wussten, haben sie sie auch nicht aus dem Zug geholt, kein Selfie mit ihr gemacht und vertwittert, sind nicht mit ihr auf einen Smalltalk in die nächste Saftbar gegangen und haben ihr auch kein Ticket für ihre Weiterfahrt nach Irgendwo spendiert.

Oder wussten Sie etwa doch (aus der ursprünglichen Benachrichtigung?), dass Sie eine Schaufensterpuppe aus dem Zug holen sollten? Wozu hat dann jemand eine Biografie für sie erfunden? Und sind Sie überhaupt am Bahnhof erschienen? Sie kennen das ja schließlich: Unbekannte aus Hong Kong oder Nigeria fordern Sie auf, einen fünfstelligen Betrag an sie zu überweisen, um im Gegenzug einen sieben- bis achtstelligen Betrag in Empfang zu nehmen …

Aufgabendurchsetzungsfähigkeitssabotagenetzwerkmanagement

So in etwa stellt sich der Soziologe und Trollforscher Klaus Kusanowsky ein künstlerisches Forschungsprojekt vor, dessen Konzept er bei einem »Call for Ideas« zur Veranstaltung »where the magic happens« an der Universität Köln eingereicht hat. Per E-Mail bat er einige Leute – darunter mich – um Unterstützung für dieses Projekt, möglichst in Form einer öffentlich wirksamen Referenz, und dieser Blogpost hier ist mein Beitrag dazu, meine Beurteilung seiner Idee und vielleicht auch eine »Empfehlung und die Aufforderung an andere, sich an der Realisierung zu beteiligen.«

Ich zitiere zunächst mal weiter aus seiner Mail: »Es geht um folgendes: Diese vielen Möglichkeiten der social-media-Kommunikaiton sind ganz nett, aber ich habe den Eindruck, dass die intelligentesten Wirkungen noch ausbleiben. Das Verbreiten von Links und das Führen von Diskussion ist zwar nicht immer nur eine schlechte Sache, allein, mir fehlt es an – sagen wir – schwierigen Aufgaben, deren Lösung für das alltägliche Leben einen Nutzen haben könnte. Einen Nutzen kann man gegenwärtig nicht so einfach erkennen, was nicht heißt, dass das so bleiben muss. Und meine Frage ist: kann man das ändern? Und wenn die Antwort “Ja” lautet, dann bedeutet dies, dass das nur mit ungewöhnlichen Mitteln geht, die selbst erforschungbedürftig sind. …«

Enttäuschung heißt, sich in seinen Erwartungen geirrt zu haben

Ich denke nicht, dass die intelligentesten Wirkungen von Social Media noch ausbleiben. Ich denke vielmehr, dass die in Social Media gesetzten Erwartungen überzogen sind, was meines Erachtens an einer Fehldeutung und mit ihr einhergehenden Überbewertung der Social-Media-Funktionen/-Möglichkeiten liegt. Das Teilen von Links etwa entspricht dem früheren Sich-darüber-Unterhalten, was am Vorabend im Fernsehen lief. Und die gelegentlichen Chats und Diskussionen dem Schwatz mit dem Arbeitskollegen an der Maschine nebenan, oder dem Kantinengespräch, oder dem Smalltalk im Arztwartezimmer. Davon nun intelligente – oder gar intelligenteste – Lösungen zu erwarten, halte ich für missdeutet und überzogen.

Welche intelligenten Lösungen in Bezug auf Organisations- und/oder Netzwerkmanagement haben denn konventionelle Massenmedien hervorgebracht? Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen, selbst Bücher, Theater und Kino haben doch immer nur eine Funktion gehabt und diese auch bis heute bestmöglich erfüllt: das virtuelle soziale Konstrukt »Gesellschaft« über sich selbst zu informieren. Welcher Aspekt von Social Media veranlasst denn die Erwartung, dass sie irgendetwas anderes leisten können und leisten können sollen? Etwa, dass es sich um von Gatekeepern – also Meinungsführern – befreite, demokratische Medien handelt? Falls ja, nun, diesen Aspekt werde ich etwas später noch aufgreifen …

In seiner Mail erläutert @kusanowsky zunächst die Problemsituation, »die sich für unsere Art der Vergesellschaftung stellt: jedes konventionelle Organisationsmangement besteht darin, dass ein Investor, gerade weil er sein Geld nicht investieren muss, auf dem Wege der Gründung eines Unternehmens eine Arbeitsaufgabe deshalb auf alle Hierarchieebenen durchsetzen kann, weil alle anderen auf Geld, auf Einkommen nicht so leicht verzichten können. Der Investor kann eine Arbeitsaufgabe durchsetzen, weil er auf Investition auch verzichten könnte, alle anderen aber nicht so leicht auf Arbeit. Diese Asymmetrie ist hinlänglich bekannt. Konventionelles Organisationsmangement ist Kommunikation von Aufgaben auf dem Wege ihrer Durchsetzung. Das hat viele Vorteile, z.B: den Vorteil von Garantien, Sicherheiten, Verbindlichkeiten, Verantwortlichkeiten usw. Auf diesem Grund ist die Durchsetzung von Aufgaben möglich, weil an der Durchsetzung von Aufgaben Verbindlichkeiten gebunden sind. Ohne Verbindlichkeiten verschiedenster Art könnte die Durchsetzung nicht gelingen.

Ein Netzwerk-Mangement, wie es konzipiere, sabotiert die Durchsetzungsfähigkeit von Aufgaben. Ein einzelner Mensch kann zwar andere kontaktieren, aber keiner kann eine Aufgabe an andere, schon gar nicht auf Unbekannte und Unerreichbare durchsetzen. Aus diesem Grund ist diese Netzwerkkommunikation nicht zur Vergesellschaftung geeignet. Sie lässt keine Verbindlickeiten zu. Jedenfalls noch nicht.

Meine Idee wäre nun, den Versuch zu wagen, auf dem Wege des Verzichts von Organisationsmanagement eine Aufgabe zu kommunzieren, die gerade deshalb verrichtet wird, weil sie _nicht_ durchsetzbar ist. Die Aufgabe bestünde darin, auf die Verrichtung einer Aufgabe zu warten, statt ihre Verrichtung durchzusetzen.«

Der Hase liegt ganz woanders im Pfeffer

Der hier genannten Voraussetzung möchte ich widersprechen: Der Investor muss nämlich ganz dringend sein Geld investieren — unabhängig davon, ob es in die New-Economy-Blase oder eine Immobilienblase oder ein viel versprechendes Start-Up aus Berlin-Mitte ist: Das Kapital sucht immer händeringend nach einer Anlagemöglichkeit, und zwar um es zu mehren oder wenigstens vor Wertverfall zu schützen. Der Teufel scheißt nun mal nur dann auf den größten Haufen, wenn ihm zuvor ein gefundenes Fressen kredenzt wurde. Ob diese Abhängigkeit wirklich geeignet ist, eine Arbeitsaufgabe durchzusetzen, wage ich hier anzuzweifeln.

Darüber hinaus soll aber »Netzwerkkommunikation nicht zur Vergesellschaftung geeignet« sein, weil ein »einzelner Mensch kann zwar andere kontaktieren, aber keiner kann eine Aufgabe an andere, schon gar nicht auf Unbekannte und Unerreichbare durchsetzen.«

Letzteres leuchtet zwar ein, die Schlussfolgerung daraus jedoch nicht. Und jetzt komme ich auf den von Gatekeepern befreiten, demokratischen Aspekt von Social Media zurück und behaupte das glatte Gegenteil: Erstens informieren Social Media genauso wie die konventionellen Medien die Gesellschaft über sich selbst; folglich sind sie zur Vergesellschaftung geeignet.

Zweitens aber – und das wiegt etliche Portionen schwerer – eignet sich kaum etwas anderes so sehr wie der demokratische Aspekt von Social Media zur Verifizierung von Pierre Bourdieus Kapitalsortentheorie. Nicht selten waren gerade Künstler die Early Adopter von Twitter und Facebook, und sie nutzen es bis heute erfolgreich, um ihr »Kulturelles Kapital« an ihr »Soziales Kapital« zu kommunizieren, um es in »Ökonomisches Kapital« zu transformieren.

Wer im Social Media keine Künstler kennt, die das tun, sei auf die zahlreichen Crowdfunding-Projekte verwiesen, die im Grunde nichts anderes machen.

Und? Sind es hier etwa die Investoren, die Arbeitsaufgaben durchzusetzen vermögen? Oder sind es die Organisatoren jener Arbeitsaufgaben, die das können, auf der sicheren Basis des Investments teilnehmender Anderer?

Anders ausgedrückt: der Hase liegt ganz woanders im Pfeffer:
Überzogene Erwartungen in Social Media zu setzen ist das eine, Investoren eine totalitäre Macht zuzusprechen, das andere. Beide Missinterpretationen miteinander zu verknüpfen, führt allerdings in die Irre.

© alle Fotos: kadekmedien

© alle Fotos: kadekmedien

Originelle künstlerische Idee

Was bleibt, ist also die durchaus originelle künstlerische Idee als Forschungsaufgabe, eine Schaufensterpuppe auf Reisen zu schicken und zu gucken, was passiert. Letzteres ist eine wissenschaftliche Messung, um das Forschungsobjekt aus seiner zwischenzeitlichen Schröderinger-Katze-Superposition zu befreien. Damit das aber möglichst häufig gelingt – eine Aufgabe also ohne Durchsetzungskompetenz durchgesetzt werden kann –, braucht Olena Rigby keine Pseudo-Biografie, sondern muss als Kunstobjekt kommuniziert werden. Und nur dann können auch unvorhergesehene Netzwerkeffekte beobachtet werden, möglicherweise also Selbstorganisation. — Und ich glaube, um Beobachtung von Selbstorganisation geht es Kusanowsky eigentlich.

 


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